Die Situation in Bihac: „Ich dachte, Europa wäre menschlicher.“


Seit Montag, 1. Februar 2021, befindet sich ein Caritas-Team in Bihac, Bosnien-Herzegowina, um die Situation sowie die Hilfe vor Ort und weitere Unterstützungsmöglichkeiten zu evaluieren. Die Situation der geflüchteten Menschen sei dramatisch, berichtet Auslandshilfe-Generalsekretär Andreas Knapp: „Viele, die hierherkommen, wissen seit Monaten, oft sogar Jahren nicht, wie es weitergeht. Sie versuchen die Grenze Richtung EU zu überqueren, was regulär nicht möglich ist. Irregulär ist es lebensgefährlich.“ Unabhängig davon, ob Menschen Asyl erhalten werden oder wieder zurückkehren müssen, dürfe man jetzt keinesfalls wegsehen: „Wenn Menschen der Kältetod droht - mitten in Europa, drei Autostunden von der österreichischen Grenze entfernt – muss man handeln.“ 

Dramatische Situation für Flüchtende – die Caritas hilft

Ein Flüchtlingscamp in Bihac, das das Caritas-Team besucht hat, beherbergt über 200 Personen, ausschließlich Familien und über 30 allein geflüchtete Jugendliche, der jüngste ist zehn Jahre alt. Die Familien, die hier an die Tür klopfen und um Hilfe bitten, sind müde, hungrig, erschöpft. Viele haben monatelange Fluchtrouten hinter sich. Die Caritas-PartnerInnen vor Ort schätzen, dass zusätzlich zu den bereits bestehenden Unterkünften und dem immer noch nur sehr notdürftig ausgestattetem Lager Lipa etwa 3.000 Menschen rund um Bihac auf sich alleine gestellt sind, berichtet Birgit Ertl, langjährige Koordinatorin für Osteuropa der Caritas Österreich: „Sie leben ohne Strom, fließend Wasser oder Heizung in Wäldern oder Abbruchhäusern. Die Unterstützung der Caritas mit Essen, Decken, winterfesten Jacken und Schuhen und mit einfacher medizinischer Versorgung ist für sie überlebenswichtig.“

Auch in den Lagern unterstützt die Caritas in enger Zusammenarbeit mit dem lokalen Roten Kreuz mit warmen Mahlzeiten und beispielsweise einem Wäscheservice. Direkt nach dem Brand in Lipa wurden kurzfristig weitere 120.000 Euro für die akute Versorgung zur Verfügung gestellt. Diese Hilfe war und ist absolut wichtig und wird weiter ausgebaut, aber was es braucht, ist die Abklärung von Zukunftsperspektiven, so Ertl weiter: „Ein Beginn wäre, mit den Menschen ihre Perspektiven zu klären, Rechtsberatung anzubieten, auf deren Basis gut abgewogene Entscheidungen getroffen werden können. Kinder müssen auch während der Flucht die Möglichkeit haben, in die Schule zu gehen. Und Jugendliche brauchen Beschäftigung, wie etwa die Mitarbeit in Projekten oder das Erlernen einer Sprache.“

Zukunftsperspektiven sowohl für Flüchtende, als auch für bosnisch-herzegowinische Bevölkerung!

„Die Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina hat selbst Kriegserfahrung, und viele Menschen wollen aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation das Land verlassen“, gibt Anna Steiner, Osteuropa-Referentin von der Caritas Steiermark, zu Bedenken und ergänzt: „Wir sind bereits seit 1991 in Bosnien-Herzegowina tätig und haben während des Kriegs geholfen. Nun unterstützen wir unsere Partner-Caritas von der Diözese Banja Luka bei der Hilfe für Menschen vor Ort, sowohl für die Geflüchteten als auch für die lokale Bevölkerung.“

Auslandshilfe-Generalsekretär Andreas Knapp schließt an: „Mit der Anwesenheit von Sicherheitskräften vor Ort will man zwar das Bild vermitteln, die Situation gut im Griff zu haben. In Wahrheit ist das Land aber nach wie vor massiv überfordert mit der Situation. Der soziale Friede kann nur gewährleistet werden, wenn auch für die bosnisch-herzegowinischen Bürgerinnen und Bürger Perspektiven geschaffen werden. Als klares Zeichen der Solidarität und Menschlichkeit soll vor allem auch den von der Corona-Krise Betroffenen und sozial Bedürftigsten in Zusammenarbeit mit dem Sozialamt von Bihac geholfen werden. Wir dürfen eines der ärmsten Länder Europas hier nicht alleine lassen.“

Birgit Ertl erzählt auch von einem Gespräch mit jungen Männern aus Pakistan, die Plastikplanen an Bäumen befestigt und sich eine provisorische Unterkunft gebastelt haben: „Die meisten von ihnen sind schon ein bis vier Jahre unterwegs. So lange dauert es, um zu Fuß von Pakistan nach Europa zu gehen. Freunde, die auf der Flucht gestorben sind, das Nichtstun, Frieren und Warten – all das macht ihnen zu schaffen. ‚Ich dachte, Europa wäre menschlicher‘, sagt einer der Männer.“

Europa, wach auf!

Seit fast 30 Jahren hilft die Caritas in Bosnien-Herzegowina, sagt Knapp abschließend: „Das Land befindet sich in einer humanitären Krise, in der humanitäre Nothilfe stark ausgebaut und die Koordination der Hilfe weiter verbessert werden muss. Aber: Die Balkan-Länder dürfen nicht weiter als Anhaltezentrum der EU ausgebeutet werden. Europa muss Verantwortung für die mitversursachte Situation übernehmen. Es braucht humanitäre Aufnahmeprogramme für AsylwerberInnen und anerkannte Flüchtlinge und einen europäischen Pakt zu Asyl und Migration.“  

 

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