Ruben Sebulbeda drückt seine eineinhalbjährige Enkelin Anina fest gegen seine Brust. So wie er es vor einer Woche getan hat. Das Erdbeben am 28. Februar reißt ihn mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Sein Haus ist heil geblieben, aber das ganze Interieur ist zu Bruch gegangen. Ruben Sebulba und seine Frau beginnen gerade mit dem Aufräumen, da hören sie die Nachbarn, die vorbeilaufen und schreien: „Das Meer kommt! Das Meer kommt!“ Ruben Sebulbeda rennt zur Tür hinaus, aber es ist schon zu spät: Das Wasser hat sein Haus bereits erreicht, es reicht ihm bis zu seiner Brust, es reißt seine Frau fort. Er presst Anina fest mit einer Hand an sich, mit der anderen greift er nach seiner Frau, erwischt ihre Haare und zerrt sie aufs Trockene. Alles andere hat das Meer mit sich genommen. Es hat Häuser entzwei gerissen, hat Boote weit ins Landesinnere geworfen, hat die liebevoll bunt bemalten Fassaden mit schmutzigem Lehm beworfen und die Straßen mit Treibholz und Lehm zugedeckt. Von dem kleinen Dorf Santa Clara, in dem Ruben Sebulbeda vor einer Woche noch gewohnt hat, ist nichts mehr übrig.
Heute lebt er in einem Mehrzweckraum neben dem Widum der Gemeinde Santa Cecilia, zusammen mit zwei anderen Familien. Ein paar Matratzen sind am Boden ausgebreitet, darauf schläft die ganze Familie, die kleinen Anina, Rubens Sohn und seine Frau. Seine Tochter, Aninas Mutter, ist immer noch in Talca, vier Stunden Fahrtzeit entfernt. In einer Woche hat sie es nicht bis zu ihrer Familie geschafft, aufgrund schlechter Straßen und einer Ausgangssperre, die 18 Stunden am Tag verhindert, dass die Menschen ihre Häuser verlassen.
In Santa Cecilia leben derzeit 15 Familien, die wie Ruben Sebulbeda alles verloren haben. Der Pfarrer, der die Gemeinde normalerweise betreut, versorgt die Familien mit Lebensmitteln, die ihm die Caritas schickt.
Außerdem treffen sich hier zwanzig bis dreißig Freiwillige, alles junge Leute, Schüler oder Studenten. Sie fahren raus in die zerstörten Dörfer und bringen ebenfalls Lebensmittel zu den Leuten. Monica Cartes lebt, oder besser: lebte, in Salinas, einer Gemeinde, die nicht mehr existiert. Sie hat gerade ein Lebensmittelpaket erhalten: „Damit ist mir ein wenig geholfen, danke“, sagt sie zu dem jungen Freiwilligen, der ihr den Karton in die Hand drückt. Mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter ist sie gerade dabei, ihr Haus zu räumen. Anderthalb Meter hoch ist das Wasser gestanden, sämtliche Fenster sind kaputt, die Möbel unbrauchbar, nichts ist mehr geblieben außer einem ekelhaften Fischgestank, der durch das kleine Haus zieht. „Wir brauchen alles neu: Handtücher, Matratzen, Kleidung, Küchengeräte, alles, um einen Haushalt zu führen. Aber eigentlich wissen wir nicht, ob wir überhaupt bleiben sollen. Das Haus ist viel zu nahe am Meer. Was, wenn es noch einmal passiert?“
Im Moment haben Lebensmittel absolute Priorität: „Bis jetzt konnten wir 25.000 Familien versorgen. Die Lebensmittelpakete enthalten Zucker, Reis, Thunfisch, Tee, Trockenmilch und Salz“, sagt Gabriela Gutierrez, die Leiterin der Caritas Concepcion. Die Lebensmittelpakete werden von den Chilenen gespendet, für jedes gespendete Paket legen zwei große Supermarktketten, Falabella und Tottus, ein weiteres dazu. 200.000 sind es schon. Sie werden in einem großen Lagerhaus in Santiago verpackt, auf Lastwagen verladen und nach Concepcion und in andere betroffene Gebiete geschickt. Aber „wir werden noch viel mehr Lebensmittel brauchen. Es gibt im Moment sehr viele, die wir versorgen müssen“, sagt Gabriela Gutierrez.
Ruben Sebulbeda und seine Familie sind soweit in Sicherheit. Sie haben einen Ort gefunden, wo sie bleiben können. Aber mehr als 1,5 Millionen Menschen in ganz Chile haben ihr zuhause verloren. Ihre Unterbringung wird das nächste große Problem: Der Sommer ist vorbei, nachts ist es beißend kalt und viele Menschen leben nur in Zelten oder schnell zusammen gezimmerten Verschlägen.
Die Caritas bitte um Spenden für die Hilfe nach dem Erdbeben in Chile:
KtoNr. 7.925.700, PSK BLZ 60.000, Kennwort „Erdbeben Chile“
Fotocredit: www.alertnet.org, Reuters/Eliseo Fernandez