Die WIR-Gesellschaft stärken - Wirkungsbericht 2017

Gesellschaftliche Veränderungen lassen sich auch daran ablesen, wie stark Sozialorganisationen angefragt sind, Menschen in Notlagen zu helfen. Der soeben erschienene Wirkungsbericht 2017 der Caritas Vorarlberg zeigt neben Zahlen und Entwicklungen auch die konkrete Wirkung der Caritasarbeit für Menschen in herausfordernden Lebenssituationen auf.

Geschichten von Menschen, die Unterstützung benötigen, zeigen, wie die Hilfe der Caritas Entlastung und neue Perspektiven schafft. Beispielsweise Alexander Raggl: Der Weg in ein möglichst selbständiges Leben war für den jungen Mann kein leichter, ist er doch im Alltag auf den Rollstuhl angewiesen. Zwischenzeitlich hat er sein Zuhause in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Beeinträchtigung der Caritas gewechselt und lebt in einer eigenen Wohnung. Zudem hat er Dank Unterstützung der Caritas einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt gefunden.

Im Wirkungsbericht kommen aber auch Menschen zu Wort, die sich mit sehr viel Kraft und in unzähligen freiwillig geleisteten Stunden für ein solidarisches Miteinander engagieren. Waltraud Gojo bereichert beispielsweise mit großem Engagement den Alltag im „Haus Said“ – einer Wohngemeinschaft für jugendliche, unbegleitete Flüchtlinge in Bregenz. „Ich möchte den Jugendlichen helfen, etwas aus ihrem Leben zu machen.“ Für die „Jungs“ ist sie eine Art „Ersatzmama“ fern von ihrer eigenen Familie. Die Wirkung ihres Einsatzes liegt auf der Hand: Durch das gemeinsame Deutsch-Lernen schaffen die Jugendlichen ihren Schulabschluss leichter und haben so bessere Chancen, gut in Vorarlberg Fuß zu fassen.

Not sehr deutlich sichtbar ist auch in der Notschlafstelle der Caritas. 2.209 Übernachtungen wurden im vergangenen Jahr in der Notschlafstelle am Feldkircher Jahnplatz gezählt, 215 KlientInnen fanden dort vorübergehend eine Unterkunft. „Ein Trend zu hoher Auslastung, der sich auch aktuell weiter bestätigt“, erläutert Markus Hupp, Mitarbeiter der Caritas Beratungsstelle Existenz& Wohnen sowie der Notschlafstelle. Denn die Situation am Wohnungsmarkt spitzt sich mehr und mehr zu – Wohnungen sind für manche Menschen schlichtweg nicht mehr leistbar.

Das WIR wird groß geschrieben

Alles in allem ist die Caritas einem großen Wirkungsziel verpflichtet –einer Gesellschaft, in der das WIR groß geschrieben wird, also Solidargesellschaft.
Dieses groß geschriebene WIR fordert die Gesellschaft auf vier Ebenen ein:

  • Werte: Eine WIR-Gesellschaft braucht die Basis von breit getragenen sozialen Werten.
  • Nachbarschaftliche Hilfe und Freiwilligen-Engagement: Unsere Gesellschaft würde nicht funktionieren ohne die nachbarschaftliche Aufmerksamkeit für einander und ohne das breite Freiwilligen-Engagement.
  • Sozialstaat mit finanziellen Unterstützungen und professionellen Dienstleistungen: Diese verlässlichen Strukturen solidarischen Teilens geben Sicherheit gegenüber den Risiken und unvorhersehbaren Ereignissen des Lebens (wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit) und sind eine wesentliche Säule des sozialen Friedens.
  • Sozialpolitik: Ihr obliegt eine wesentliche Verantwortung sowohl für die Wertebasis als auch für die Voraussetzungen und Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements und für die Ausgestaltung des Sozialstaates.

Die Caritas sieht als kirchliche Hilfsorganisation ihren Auftrag auf all diesen vier Ebenen. „Sie ist damit Teil einer Gesellschaft, die in den letzten Jahren unruhiger und in manchem auch herausfordernder geworden ist“, nimmt Caritasdirektor Walter Schmolly Bezug auf die jüngsten Entwicklungen. „Es braucht speziell dann eine starke soziale Stimme, wenn plötzlich nicht mehr klar ist, dass in unserem Wohlstandsland keiner – und schon gar kein Kind – zurückgelassen werden darf. Oder wenn die falsche Annahme, dass es der Markt für alle richtet, blind macht dafür, dass nicht jeder seines Glückes Schmid ist, solange er nur leistungswillig ist. Oder wenn mit dem Grundwert des gesellschaftlichen Zusammenhaltes gespielt und soziales Engagement schlecht geredet werden“, so Direktor Walter Schmolly.

Werteverschiebung durch Neuregelung der Mindestsicherung

Die geplante österreichweite Neuregelung der Mindestsicherung durchlöchere einen der fundamentalsten Grundwerte – nämlich, dass in unserem Wohlstandsland kein Mensch in Armut soll leben müssen und dadurch von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird. „Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Mindestsicherungsbezüge nun plötzlich mit der Frage verknüpft werden, ob jemand in dieses System schon einbezahlt hat. Das pervertiert die bisherige Mindestsicherung in ihrem Ansatz, denn diese war ja gerade die Unterstützung für jene Menschen, die keinen Anspruch auf irgendwelche Versicherungsleistungen haben, die sich durch Einzahlungen ins System erworben haben“, so der Caritasdirektor. Das budgetäre Argument sei insofern zu relativieren, als „die Gesamtkosten für die Mindestsicherung in Österreich deutlich unter 0,9 Prozent des Sozialbudgets liegen“. Erwähnt sei auch, dass am Ende des Tages aber trotzdem jemand für die Kürzungen wird einspringen müssen. Es wird sicher die Gemeinden treffen und auch die Sozialeinrichtungen.

Der Wert, dass jeder Mensch durch soziale und kulturelle Teilhabe eine Perspektive in seinem Leben haben soll, werde – so der Plan - ebenfalls kommentarlos eliminiert. „Heißt es im Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz noch, dass die Mindestsicherung `den Aufwand für die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe´ umfassen soll, so ist dieser Aspekt im Ministerratsvortrag ersatzlos verschwunden.“ Des Weiteren spricht Walter Schmolly auch den Grundwert des Asylrechts an. Der Grundsatz, dass Menschen, die nicht in ihr Herkunftsland zurück können, weil ihnen dort „ernsthafter Schaden“ droht, in Österreich mit dem Mindesten sozial abgesichert werden, gelte offenbar nicht mehr.

„Mit dieser Mindestsicherungsregelung, wie sie von der Bundesregierung vorgeschlagen wird, werden grundlegende Werte über Bord geworfen. Die Konsequenzen reichen weit über die Mindestsicherung hinaus“, warnt Walter Schmolly. Eine gute Zukunft unserer Gesellschaft brauche nichts mehr als Menschen, die im Kleinen und im Großen eine Kultur des Zusammenhalts und die Werte des Miteinanders und Füreinanders leben und fördern. „Nichts zählt für den Erhalt des sozialen Friedens mehr, als dass jedem Menschen zugestanden wird, wonach jede und jeder sich sehnt: Nämlich dazuzugehören und sich entwickeln zu können“, so Walter Schmolly abschließend.

 

Wirkungsbericht 2017