Integration für geflüchtete Kinder und Erwachsene - Bulgarien

In Bulgarien, an der Außengrenze der EU, suchen jährlich etwa 20.000 Menschen um Asyl an. Der Großteil von ihnen kommt aus Syrien, dem Irak, Afghanistan oder Pakistan. Doch die Unterbringungskapazitäten im Balkanstaat sind längst erschöpft und bieten nur Platz für knapp 5.700 Menschen. Für sie stellt der bulgarische Staat mehr recht als schlecht Unterbringung und Essen bereit – Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse, die Ausstellung von Dokumenten oder die Integration in Arbeitsmarkt und Schule bleiben hingegen völlig aus.

Sprache, Gesunheit, Arbeit

Die Caritas Sofia unterstützt geflüchtete Menschen dabei, in Bulgarien Fuß zu fassen. Im „St. Anna Center for Refugee and Migrant Integration“ bekommen Flüchtlinge, Asylwerbende und MigrantInnen Sprachkurse, psychosoziale und medizinische Beratung, Rechtshilfe sowie Unterstützung bei der Suche nach Arbeit. Außerdem gibt es im Integrationszentrum  Notunterkünfte für alleinerziehende Mütter, die weder Platz in Flüchtlingscamps noch in Auffanglagern finden.

Gelungene Integration

Gemeinsam mit Partnerorganisationen unterstützt die Caritas Sofia, Projektpartnerin der Caritas Steiermark, Menschen, die auf ihrer Flucht vor Krieg und Gewalt in Bulgarien angekommen sind, dort ein eigenständiges Leben aufzubauen. Durch Aktivitäten wie Sprachkurse, psychosoziale Beratung, Arbeitstrainings oder Notversorgung wurden bis Ende 2017 bereits 3.679 Einzeplersonen in bulgarischen Flüchtlingslagern und Privatunterkünften - ein Großteil unter ihnen Kinder, welchen die Maßnahmen den Schulbesuch und in weiterer Folge eine gelungene Integration in die Bulgarische Gesellschaft bedeuten.

Unterstützen Sie geflüchtete Kinder und Erwachsene bei der Integration in Bulgarien.

"Die Lebensbedingungen sind prekär"

Ivan Cheresharov, Leiter des St. Anna Integrationszentrums in der Hauptstadt Sofia, über die Situation von Flüchtlingen in Bulgarien.

Eine ausführliche Version dieses Gesprächs vom Mai 2017 finden Sie als Text weiter unten.

"Druck auf die Politik ausüben"

Ivan Cheresharov, 36, ist Leiter des St. Anna Integrationszentrums in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Anlässlich seines Besuchs in Graz im Mai 2017, haben wir uns mit ihm über fehlende Integrationsmaßnahmen, mangelnde Perspektiven und schlechte Lebensbedingungen für Menschen auf der Flucht in Bulgarien unterhalten.

 

Caritas: In Österreich zeigt sich die Politik stolz über die Schließung  der Westbalkanroute und die damit einhergehenden gesunkenen Flüchtlingszahlen. Wie hat sich die Lage in Bulgarien verändert?

Ivan Cheresharov: Die Lage in Bulgarien hat sich auch etwas normalisiert und die Zahlen sind mit ein paar hundert Asylanträgen im Monat relativ stabil. Im Winter war es allerdings schon immer ruhiger, weil die Leute während des Winters in der Türkei abwarten, bis der Frühling kommt, um über die Grenze zu gehen. Von daher gibt es momentan keinen großen Migrationsdruck.

Was erwartet jemanden, der auf der Suche nach einem besseren Leben aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder einer anderen Krisenregion aufbricht und dann in Bulgarien landet?

Da, wo die Grenzen in die Nachbarstaaten geschlossen sind und Flüchtende ihre Reise nicht fortsetzen dürfen, müssen sie Asyl beantragen. Dann fängt die ganze Prozedur an und je nachdem, ob es einen positiven oder negativen Bescheid gibt, entwickelt sich die Situation unterschiedlich. Als erstes werden die Menschen aber in Asylzentren untergebracht, während das Verfahren läuft.

Wie gestaltet sich dort der Alltag für die Menschen?

Im Prinzip bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als die Entscheidung über ihren Asylstatus abzuwarten, da es keine staatlichen Integrationsprogramme gibt. Hier müssen NGOs (Non-Governmental Organizations oder Nichtregierungsorganisationen, Anm.) wie die Caritas oder das bulgarische Rote Kreuz einspringen, die zum Beispiel Sprachkurse und Aktivitäten für Kinder anbieten – jedoch nur in Sofia. In den ländlichen Gebieten in der Nähe zur türkischen Grenze fehlen leider jegliche Strukturen sowie Sozial- und Lernangebote.

Sie haben bei ihrem Graz-Besuch auch Flüchtlings-Einrichtungen der Caritas besucht. Kann man diese mit ähnlichen Einrichtungen in Bulgarien  vergleichen?

Nur schwer. Man kann weder die Standards was die Lebensbedingungen dort angeht, noch die Integrationsangebote für die Menschen vergleichen.

Können Sie die Lebensbedingungen für Menschen auf der Flucht in Bulgarien schildern?

Es gibt schon auch positive Beispiele, wo die Standards ok sind. Meist sind die Lebensbedingungen aber eher prekär.

Das heißt, es gibt viel zu tun in Bulgarien.

Ja, das kann man sagen.

Welche Perspektiven haben Menschen, die dort auf ihrer Flucht landen?

Das hängt stark von den Qualifikationen ab, die jemand mitbringt. Manche werden auf ihrer Suche nach einem besseren Leben fündig, aber das ist sehr schwierig. Das Fehlen einer staatlichen Integrationspolitik ist einfach ein großer Nachteil. NGOs können Unterstützung leisten, aber auch als Caritas sind wir nicht in der Lage, den Staat zu ersetzen. Das ist einfach nicht möglich.

Erzählen Sie, welche Aufgaben das St. Anna Integrationszentrum übernehmen kann.

Zuerst einmal machen wir keinen Unterschied, ob jemand Asylwerber oder anerkannter Flüchtling ist. Wir bieten etwa Sprachkurse an, die Menschen bekommen durch unsere Sozialmediatoren Zugang zu ärztlicher Versorgung, zum Arbeitsmarkt, etc.  Man kann sagen, wir versuchen alles zu tun, um das Leben der Asylwerber und Flüchtlinge in Bulgarien zu verbessern.

Gäbe es nicht die Caritas und andere NGOs, wären diese Menschen in ihrem Bestreben sich zu integrieren, also völlig auf sich alleine gestellt?

Genau, unter dem Strich ist das so. Das staatliche Angebot beschränkt sich auf Unterkunft, Verpflegung und eine sehr beschränkte medizinische Betreuung.

Ivan Cheresharov, Leiter des St. Anna Integrationszentrums, bei seinem Besuch in Graz, vor der der Caritas-Zentrale.

Ivan Cheresharov, Leiter des St. Anna Integrationszentrums, bei seinem Besuch in Graz. © caritas

Wie ist die Stimmung im Land gegenüber dem St. Anna Integrationszentrum und der Caritas im Allgemeinen?

Wir werden unterstützt und was wir machen wird vonseiten des Staates als positives Beispiel anerkannt. Es ist aber so, dass unsere Hilfe nur einen kleinen Teil dessen abdeckt, was wirklich gebraucht wird. Wir sprechen von rund 5.000 Asylwerbern, da ist ein Zentrum wie unseres nicht viel. Zum Beispiel bieten wir im Moment vier Sprachkurse an, haben aber eine Warteliste von 50 Asylwerbern, die auch daran teilnehmen möchten. Daran sieht man, dass es ein Wunsch dieser Menschen ist, Integrationsangebote in Anspruch zu nehmen. 

Wollen die Flüchtlinge und Asylwerber in Bulgarien bleiben?

Manche schon. Wir sehen das daran, dass einige gar nicht in die Camps hineingehen, sondern gleich eine eigene Wohnung suchen, für die sie selbst Miete bezahlen.

Mit welchen institutionellen Schwierigkeiten sind Sie bei Ihrer Arbeit konfrontiert?

Es gibt in diesem Bereich leider sehr viele Probleme und Herausforderungen. Ein Beispiel ist der Zugang zu universitärer Bildung. Hat man den Flüchtlingsstatus erlangt, hat man eigentlich die gleichen Rechte wie jeder Bulgare. Theoretisch können anerkannte Flüchtlinge also auch die Universität besuchen und studieren. Praktisch gibt es aber eine Aufnahmeprüfung, die auf Bulgarisch abgehalten wird. Und weil ja viel zu wenige Sprachkurse angeboten werden, ist es dadurch auch kaum möglich, an einer Universität aufgenommen zu werden.

Die Flüchtlingsbewegung ist ein EU-weites Problem. Was müsste die europäische Politik tun, damit sich die Situation auch in Bulgarien, dem ärmsten Land der Union, verbessert?

Eine europäische Politik im Sinne einer gemeinsamen Migrationspolitik wäre gut. Ich bin zum Beispiel skeptisch, ob das Dublin III Abkommen (das klarstellen soll, welcher Mitgliedsstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, Anm.) der richtige Weg ist. Momentan gibt es deswegen viele Anfragen, etwa aus Deutschland und aus Österreich, von wo Menschen nach Bulgarien zurückgeschickt werden sollen, die das Asylverfahren dort begonnen haben und dann in den Westen weiter gereist sind. Wenn diese Menschen abgeschoben werden, ist das ein großes Problem, weil sie in Bulgarien nicht mehr in die Asylzentren dürfen. Wer kein Geld hat, ist dann obdachlos.

Warum dürfen die Flüchtlinge, die etwa aus Deutschland oder Österreich nach Bulgarien abgeschoben werden, nicht in die Asylzentren kommen?

Sie haben das Asylverfahren schon einmal in Bulgarien begonnen, sind dann ausgereist und haben als wegen Dublin III Zurückgekehrte keinen Anspruch mehr darauf. Erst kürzlich gab es an die Caritas eine Anfrage einer kurdischen Familie, die aus Österreich abgeschoben wurde und in Bulgarien obdachlos war. Für solche Fälle suchen wir deshalb Privatwohnungen, die wir als Teil eines Integrationsprogrammes für sechs Monate anmieten. Das Angebot ist aber sehr begrenzt: Wir sprechen hier über nur 20 Wohnungen, seit Anfang des Jahres gibt es aber rund 80 Fälle von aus Westeuropa abgeschobenen – und noch etwa 3.000 Anfragen.

Was kann man von Österreich und anderen europäischen Ländern aus tun, um zu helfen?

Ich weiß nicht, in wieweit das möglich ist, aber man müsste Druck auf die Regierung in Bulgarien ausüben, eine einigermaßen nachhaltige Politik zu entwickeln. Momentan wird die Verantwortung für Asylwerber und Flüchtlinge zwischen den Institutionen hin und her geschoben. Wer ist verantwortlich für die Integration? Wer ist verantwortlich für Sozialleistungen für Bedürftige? Keiner fühlt sich wirklich zuständig für die Menschen. Es gibt zwar die staatliche Flüchtlingsagentur, die betreibt aber nur die Camps. Dort gibt es Unterkunft und Essen, jegliche Integrationsangebote bleiben auf der Strecke.

Ivan Cheresharov, Leiter des St. Anna Integrationszentrums in Bulgarien, bei seinem Graz-Besuch.

Ivan Cheresharov, Leiter des St. Anna Integrationszentrums in Bulgarien, bei seinem Graz-Besuch. © caritas