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Ein gutes Leben für alle… auch in Zukunft!

Ein Ausblick von Zukunftsforscher Klaus Kofler auf die gesellschaftlichen Entwicklungen in den kommenden Jahrzehnten.

 

Der Weg des Fortschritts

Als vor gut einem Jahrhundert große Veränderungen auf unserem Planeten ihren Lauf nahmen, war das auch zugleich die Zeit, als Organisationen wie die Caritas zu ihren "Zukunftsreisen" aufbrachen. Es war eine Epoche in der Geschichte der Menschheit, die die Menschen voller Erwartungen und faszinierendem Staunen, aber auch mit großen Unsicherheiten, Ängsten und Sorgen in die Zukunft blicken ließ. Denn trotz pfeifendem Dampf, dreckiger Kohle, aufstrebender Fabrikhallen und aufkommender Euphorie eines beginnenden Industriezeitalters spürten die Menschen auch, wie instabil und zerrissen sich die Welt um sie herum entwickelte. Was folgte, waren harte Jahre des Verzichtes, Ungewissheit und der Sinnlosigkeit von Kriegen. Aber waren es nicht schon immer die düsteren Zeiten, die die Menschheit dazu motivierte, dieser Welt ein neues „Gesicht“ zu verleihen? Menschen, die durch Engagement, Solidarität und Nächstenliebe wieder Licht ins Dunkel zauberten. Nein, nicht durch die großen sichtbaren Dinge, sondern durch die sozialen Veränderungen, die den Menschen wieder Mut machten.

Und irgendwann war dann der Weg des Fortschritts geebnet. Ein Rausch der Veränderung fegte über die Welt und Technologie mutierte zu einer Art Glaubensgrundsatz für Fortschritt. Elektrizität und Telekommunikation wie Radio und Fernseher begannen, die Welt zu verbinden. Der Traum vom Fliegen eröffnete neue Horizonte und Ziele. Ernteerträge wuchsen in den Himmel und das Modell Demokratie fand immer mehr Verbündete. Es war eine Zeit des Aufbruchs, eine Ära, in der Maschinen zum Wachstums- und Wohlstandstreiber der Menschheit wurden. Aber gleichzeitig spürte man erste Sorge, dass all diese technologischen Innovationen und Entwicklungen nicht ohne soziale, ökonomische und ökologische Verluste einhergehen würden. 

Die Geister, die wir riefen

Heute, inmitten einer „wilden“ Welt großer Instabilitäten, gigantischer technologischer Möglichkeiten und klimatischer Herausforderungen, stehen wir wieder an einem Punkt großer Fragen. Denn Künstliche Intelligenz, geopolitische Umbrüche und Umweltkrisen klingen zwar erstmal nach Zukunft, zeigen uns aber, wie dehnbar unser Verständnis von Zukunft geworden ist. Denn Zukunft wird immer mehr zu einer Frage der Interpretation. Einerseits eröffnet uns die digitale Welt eine schier unendliche Flut an Möglichkeiten, andererseits schürt sie Ängste und Hoffnungen, die die Denksysteme der Menschen schlichtweg überfordert. Der Begriff Identität, welcher all unsere Eigenschaften, Werte und Vorstellungen des eigenen Ichs und unserer Unteilbarkeit definiert, beginnt sich gerade aufzulösen und in ein „virtuelles Ich“ zu verwandeln. Der Kampf der digitalen Raubritter ist längst entbrannt. Aber immer, wenn unsere Welt unsicher und unmenschlicher wurde, sehnten sich die Menschen umso mehr nach Sicherheit und traditionellen Werten, wie Barmherzigkeit oder Nächstenliebe.  

Wenn wir jetzt über ein gutes Leben für uns alle nachdenken, dürfen wir diesen Diskurs nicht ausschließlich über neue Technologien, intelligente Algorithmen oder das revolutionäre Gedankengut selbstloser Technologiefanatiker führen. Denn die Gefahr, Zukunft nur über starre und vorgegebenen Weltbilder zu verinnerlichen, wäre fatal. Zukunft wurde immer schon von und für uns Menschen gemacht. Fortschritt, der nicht von Humanismus geprägt ist, darf ganz am Ende auch nicht als echter Fortschritt bezeichnet werden.  

Neue Sehnsucht nach Zukunft

Aber gerade deshalb könnten wir in einer Zeit der Unsicherheit und großer Herausforderungen zu einer neuen Form des Menschseins finden. Ein Schlüssel dafür wäre Empathie und Resilienz verbunden mit einem bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit den großen globalen Veränderungen unserer Zeit. Eine empathische Gesellschaft könnte uns nicht nur in die Lage versetzen, mit unseren Mitmenschen ihre Freuden und Leiden zu teilen, sondern auch Beziehungen und Verbindungen schaffen, die weit über die Grenzen von Technologie, Kultur und Gesellschaft hinausgehen und unsere Welt zu einem globalen Organismus machen, der Wohlstand für alle schafft.

Letztlich liegt wohl eine der größten Herausforderungen darin, wie die Menschheit aus einer Art verspürten Sinnlosigkeit wieder zu einer erlebten Sinnhaftigkeit gelangt. Genau das könnte die Grundlage einer neuen Ära sein. Einer Ära, die eine neue Vision des Menschseins entwerfen könnte, welche von Mitgefühl, Anpassungsfähigkeit und bewusster Verantwortung geprägt ist.  

Wir sollten beginnen, uns andere Geschichten von Fortschritt zu erzählen. Geschichten, in welchen nicht das digital Machbare, sondern das menschlich Mögliche in den Mittelpunkt rückt. Einer anderen Vision von Fortschritt. Nämlich einem sozialen Fortschritt, der uns durch Menschlichkeit, Hoffnung und Solidarität wieder von einer „Reise in die Zukunft“ träumen lässt.

Klaus Kofler, Zukunftsforscher

Klaus Kofler ist Zukunftsforscher, Redner und Autor. Er ist als Keynote Speaker beim Caritas Kongress forumZUKUNFT am 11. September 2024 zu hören.