Träume wecken
„Als wir begonnen hatten hier, hatten die Kinder keine Träume“, sagt Maria Dimieva, Leiterin des Caritas-Tageszentrums Malko Tarnovo in Bulgarien. Der kleine Ort nahe der türkischen Grenze im Südosten des Landes wirkt trist an diesem Jännertag. Der Schnee ist schon ein paar Tage alt, kaum ein Mensch ist auf der Straße, die Häuser wirken verlassen, viele sind in desolatem Zustand. Zukunftsträume sind anderswo zu Hause.
Hier eine Lebensperspektive zu entwickeln, ist nicht einfach. Schon gar nicht, wenn man ein Kind ist, dessen Eltern von Hilfsarbeiten leben, ohne Vertrag, ohne Krankenversicherung. Ein Kind von Eltern, die selbst oft nicht lesen und schreiben können. „Jetzt, nach zwei Jahren, entwickeln die Kinder Fantasie und eine Vorstellung davon, was sie im Leben erreichen möchten“, erklärt Maria und drückt einen ihrer Schützlinge an sich.
Kinder aus problematischen Familien, oft mit Gewalterfahrung, finden hier Raum und Zeit, Kind zu sein: Sie spielen, machen Musik, basteln – und für den Besuch haben sie Kuchen gebacken. Nicht nur die Kinder, auch die Eltern – meist kommen die Mütter – bekommen hier Unterstützung: Erziehung ohne Gewalt, Anleitung in Hygiene, ein aufmunterndes Wort. Nebenbei gelingt Integration: Roma- und bulgarische Familien kommen sich über die Kinder näher, helfen einander aus.
Ein paar Busstunden entfernt, in Banya, einem Bergdorf in Zentralbulgarien: Von den knapp 4.000 Einwohnern sind 90 Prozent Roma. In der Schule gibt es einen herzlichen Empfang, Kinder in traditioneller Tracht tanzen und singen für den Besuch, auch hier wurde gebacken und vorbereitet. Der österreichische Caritas-Präsident Michael Landau, Auslandssekretär Christoph Schweifer, die Projektkoordinatorinnen Brigitte Kroutil-Krenn und Anna Steiner aus Graz sowie die Journalisten mit ihren Kameras und Mikrofonen werden herzlich begrüßt.
Die Caritas Steiermark unterstützt hier ein Schulprojekt – es ist das Projekt mit der längsten Laufzeit in Bulgarien. Seit 1989 ist die Caritas hier vor Ort, und mittlerweile sind es die Kinder der ersten SchülerInnen, die jetzt dort die Schulbank drücken. Wie sehr sich Langfristigkeit auszahlt, wird hier deutlich: 100 Prozent der Roma-Kinder am Ort besuchen die Schule. Die Bedeutung von Bildung und Lernen ist selbstverständlich geworden.
Das Engagement der LehrerInnen zeigt sich im ganz offensichtlich herzlichen, persönlichen Verhältnis zu den SchülerInnen. Sie sind mit Eifer bei der Sache, auch am Nachmittag in der Lernbetreuung und in den speziellen „Interessensclubs“, die einige Lehrkräfte anbieten. Hier können SchülerInnen spezielle Interessen vertiefen – das geht vom „Club der jungen Forscher“ bis zum Kurs „Zivilgesellschaft und Ethik“.
Nur zwei Schlaglichter aus einer aufschlussreichen Reise: Drei Tage, vier Projekte, 2500 Kilometer im Bus. Verschiedene Welten: Die Romasiedlung Fakulteta in Sofia, das Bergdorf Banya, der Grenzort Malko Tarnovo, das mit Zaun und Stacheldraht bewehrte Niemandsland an der Grenze zur Türkei, wo Caritas-MitarbeiterInnen auf informellen Wegen Flüchtlinge versorgen. Die Eindrücke sind vielfältig und oft deprimierend.
Doch was bleibt, ist das Kinderlachen im Ohr; die Warmherzigkeit der Menschen über all ihre Sorgen hinweg und das sichere Bewusstsein: Die Caritas hilft. Jedes Kind, das einen Abschluss erreicht und einen Traum für sich selbst hegt, ist das Engagement wert. Und auf lange Sicht ändert sich auch etwas in der Gesellschaft.
(Caritas Mitarbeiterin Irmgard Rieger)